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Die Zeit, 26 juni 2003
Reinhard Osteroth

Warum soll nur Noah leben?

Anne Provoost erzählt ihre intensive und archaische Version der Sintflut

Die niederländische (sic) Autorin Anne Provoost scheut das Wagnis nicht. Sie hat ein unvergessliches Buch über das Mittelalter geschrieben, Rosalenas Spiegel (LUCHS 158, ZEIT Nr. 10/00), einen ebenso beeindruckenden Roman über die Verstrickung eines Jugendlichen in den Rechtsextremismus, Fallen. Jetzt kann man ihren neuen Roman in deutscher Übersetzung von Silke Schmidt lesen, Flutzeit. Neu erzählt, anders erzählt, die biblische Geschichte der Sintflut. Ein ehrgeiziges, ein angestrengtes Unterfangen.

Vater Noah und seine Söhne Ham, Sem und Japheth – Noah heißt hier nur „der Bauherr“, und für ihn arbeitet widerwillig ein fremder Baumeister, der Vater des Mädchens Re Jana. Sie ist die Ich-Erzählerin, die das monumentale Panorama vor uns ausbreitet. Re Jana ist mit ihren Eltern aus dem Sumpfland gekommen. Die Wasserpegel stiegen und stiegen, also zogen sie in das steinige Trockenland, wo das nomadische Volk der Rrattika lebt. Nur einen Gott verehrt dieses Volk, den Unnennbaren. Die Rrattika, ein Schimpfwort für ein „unfähiges“, gegenüber den Sesshaften zurückgebliebenes Wandervolk, ausgerechnet die bauen ein Riesenschiff, einen Kasten ungekannter Größe, der da mitten in der dürren Wüstenei steht. Warum? Keiner weiß es, nur der Bauherr. Und Re Janas Vater sieht „Wahnsinn“ am Werke.

Hart, schroff, grobschlächtig, düster, seltsam – Anne Provoost führt uns in eine fremde, archaische Welt. Fürwahr keine leichte Lektüre, ein vermindertes Lesetempo stellt sich ein. Lange umkreist der Roman die quälende Ungewissheit über die kommende Flut. Sprachlich ein Balanceakt, nicht in altertümelnde Manier zu fallen und doch nicht „modern“ zu sprechen. Da fallen Begriffe wie „Obsession“, „nervtötend“, „protestieren“ oder „trainieren“ störend auf. Viel implantierter aber wirkt, was Re Janas Vater im Streit um Gottes „Un-Gerechtigkeit“ zum Bauherrn Noah sagt: „Ich verlange Urteilsvermögen… Redet auf Euren Gott ein. Appelliert an seine Vernunft.“ Kein Zorn gegen den Einen Gott im Namen der Vielen also, sondern ein modern angehauchter, vom Erzählten nicht gedeckter Disput.

Wie es besser geht, zeigt die Geschichte selbst: Re Janas Vater wird zum Widerständler, der Gottes Willen unterläuft, indem er vielen anderen beim Bootsbau hilft. All die Sünder vor Gottes Zorn sollen auf der Sintflut dümpeln und das Strafgericht überleben. Es wird anders kommen, doch in solchen Motiven findet der Roman zu großen Passagen. Aber nicht nur die Arche wird auf der Sintflut schwimmen, fast surreal schaukelt dazu ein kleines Papyrusboot daher, mit dem Vater an Bord.

Meisterhaft, wie Anne Provoost das Wasser nach und nach in den Roman dringen lässt, in vielerlei Gestalt, als Tau, als begehrtes Quellwasser, ehe die Flut und der endlose Regen kommen, lebensspendend einerseits, als Schreckbild andererseits. Wasserstifterinnen sind die Frauen, die mit der Wünschelrute die Quellen entdecken. Und Re Jana ist die beste von allen, erobert so die Liebe Hams, Noahs Sohn. Mit dem Wasser werden die Körper gewaschen, ein sinnliches Ritual, wieder und wieder. Fast ein Leitmotiv bei Anne Provoost: Die Haut ist das Grenzorgan zwischen innen und außen, voller Wunden und Schrunden, wird massiert und geölt. Auch Ort der Liebe und der Gewalt: Re Janas Mutter wird vergewaltigt; Hams Brüder, Sem und Japheth, vergewaltigen Re Jana an Bord der Arche.

Variationen, Wiederholungen – Anne Provoost arbeitet ausladend am Bild ihrer Bibelexegese. Fast bis zum Stillstand der Handlung, die erst mit der brutal-wuchtigen Szenerie beim Besteigen der Arche wieder Fahrt aufnimmt. So hat man am Ende ein Buch gelesen, dem eine mutige Kürzung gut getan hätte – und doch ist man immer wieder abgetaucht in diese andere Welt, bereut kaum eine Seite dieses sperrig-wagemutigen Buches. Spätestens jetzt nimmt man die Bibel zur Hand und liest das Original mit entfachter Neugier.